Niki Lauda verstorben: Der Stephansdom trauert mit uns – oder doch nicht so recht

Ich hatte schon einmal die Frage gestellt: darf man um jemanden trauern, den man nicht persönlich gekannt hat?

Auch mir war es ein Anliegen, mich „vom Niki“ zu verabschieden. Schon mit neun Jahren war ich, obwohl ein Mädchen, ein großer Formel-1-Fan gewesen und bin bis heute Sportwagen-Fan. Viele große Fahrer kamen und gingen; einige verunglückten tödlich, doch Niki Lauda blieb als Konstante – bis letzten Montag. 

So absentierte ich mich heute vom Büro und reihte mich bei strömendem Regen in aller Frühe in die Warteschlange ein. Zuallererst fiel mir ein schnittiger Mercedes in silber-metallic auf, der sich erst bei näherem Hinsehen als Leichenwagen herausstellte. Der erste Gedanke: ob das dem Niki gefällt für seine letzte irdische Autofahrt? 

Dann hinter der Absperrung eine Reporterin mit Mikrofon, die grinsend und zähnebleckend den morgendlichen Ansturm kommentierte, und das in einem gespreizten Pseudo-Wienerisch, das in Wirklichkeit völlig theatralisch ist mit betont rausgeschnalzten Plosiven, die eigentlich nicht ins Wienerische passen, aber typisch sind für gewisse „Möchtegerns“, die die Nase zu hoch oben tragen. Ich meine auch, etwas von „das Wetter spielt leider nicht mit“ aus ihrer Richtung gehört zu haben. Welch unpassendes Statement – schließlich war das hier kein Kirtag. Dann gab es, so weit ich es mitbekam, eine technische Panne mit dem Mikrofon – die Reporterin kicherte lauthals darüber. 

Langsam bewegte sich die Schlange weiter, und nach über einer Stunde und völlig durchweicht und durchgefroren kam ich über das Primtor im Dominneren an. Die Leute „knipsten“, machten Sarg-Selfies,… nicht gerade das, was ich als „die letzte Ehre erweisen“ titulieren würde. Ich „begnügte“ mich damit, mich vor dem Sarg mit einer Kniebeuge zu bekreuzigen und vor dem Weggehen zu verneigen.

Zwei Stunden später. Nach erneutem Anstellen in einer Menschentraube schaffte ich es, abermals völlig durchnäßt, aber gottseidank ohne durch Regenschirme ausgestochene Augen, ein zweites Mal ins Dominnere, diesmal für die Seelenmesse. Ich fand einen Sitzplatz im hinteren Teil des Doms beim Maria-Pocs-Altar am äußeren Ende der Bank. Neben mir hockte sich eine junge Frau mit dem Gesäß auf den hölzernen Vorsprung am Bankende – nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, mich in einer Kirche so hinzusetzen. Dann besaß sie noch die Frechheit, mich zu ersuchen, ich möge doch ein bißchen nach rechts rücken, damit sie mehr Platz für ihre fünf Buchstaben hätte.

Was macht ein gläubiger Katholik, bevor eine Seelenmesse beginnt? Er versucht, ein bißchen für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Doch keine Konzentration war möglich. Die Leute rings um mich herum plauderten, lachten und kletterten auf die Bänke, um zu fotografieren und zu filmen – von Andacht keine Spur. Zwar bin ich heute früh in einem Traditionalisten-Thread auf Facebook wieder einmal der Verbreitung von Irrlehren bezichtigt worden, weil ich mich erdreistet habe zu behaupten, dass eine Messe im novus ordo nicht per se ungültig sein muß, aber ich traue mich zu behaupten, daß ich mich auch als böse Modernistin zumindest in einer Kirche zu benehmen weiß. Leute, das war kein Festival, sondern immerhin ein Requiem, wenn auch im novus ordo missae und noch dazu als ziemlich modern(istisch)e Veranstaltung konzipiert, aber ecclesia supplet. 

Ein Ordner öffnete das eiserne Innentor. Während meine Sitznachbarn munter weiter fotografierten und kicherten, stahl ich mich von ihnen unbemerkt ins Hauptschiff und nahm einen halbwegs annehmbaren Stehplatz ein. Besser ein solcher als ein Sitzplatz, wo man sich vor lauter Freestyle-Sitzern und Bankerlkraxlern nicht auf die Messe konzentrieren konnte. 

Dann begann das Requiem. Meine Freunde aus der tridentinischen Messe mögen sie zwar zu Recht als „etwas“ modernistisch bezeichnen, und UHBP van der Bellen hätte ich persönlich auch nicht unbedingt gebraucht. Fürbitten sind bei meinen Tradi-Freunden auch nicht sehr beliebt, dennoch muss ich gestehen, dass ich wie viele andere Meßbesucher unter Tränen ein bißchen lachen mußte, als eines der Kinder sinngemäß vortrug: „Lieber Gott, beschütze den Niki, aber paß auf – er ist immer der Schnellste“. 

Aufgrund der Annahme jedoch, daß die Korrektheit von Form und Materie sowie die Intention des Priesters, die Messe gültig zu zelebrieren, für deren Gültigkeit ausreichend seien, sowie eingedenk des erwähnten Grundsatzes „ecclesia supplet“ will ich hoffen, daß auch diese Seelenmesse ein bißchen Löschwasser fürs Fegefeuer bietet und hilft, daß auch der Niki Lauda als eher „lauwarmer“ Katholik eine Chance hat, in den Himmel zu kommen und die in den sozialen Medien veröffentlichten Karikaturen, die man fast schon zu einer Fotostory kompilieren kann, nicht nur Phantasie trauernder Fans darstellen, sondern daß eine realistische Chance besteht, daß ich ihn im Himmel persönlich kennenlernen kann, so ich denn selber dort hinkomme. Und daß er auch, wie in einer im Internet kursierenden Zeichnung dargestellt, wieder mit seinem Kumpel James Hunt – trotz dessen Lebensstils – vereint ist.

Die Messe war vorbei. Daß ich, obwohl nur auf einem Stehplatz gelandet, mich im Gegensatz zu den umstehenden Mit-Fans wenigstens zur Wandlung, zum Sanctus und zum „Domine, non sum dignus“ zumindest ansatzweise hinknien hatte müssen (wenn auch in Ermangelung einer Kniebank in Wirklichkeit nur ein „Niederhockerln“ möglich war), erwähne ich nur nebenbei für gewisse Leute. Dies, das Hinknien, gebot mir ebenfalls der Anstand – trotz des Modernismus der Veranstaltung sowie auch meiner eigenen, laut gewissen Leuten viel zu modernistischen, Einstellung. Daß die Frau in der krachrosa Jacke neben mir wegen meines (andeutungsweisen) Kniens in meine Richtung etwas von: „Ist was nicht in Ordnung?“ gefragt hatte, hatte ich geflissentlich überhört. Vielleicht war dies ja die erste katholische Messe ihres Lebens gewesen. 

Als der Sarg unter Glockengeläut aus dem Dom getragen wurde, war es auch mir ein Bedürfnis, Spalier zu stehen, wenn auch in der achten oder neunten Reihe. Vordrängeln ist meine Sache nicht. Doch Ehrerbietung seitens der Fans sah ich auch hier immer noch viel zu wenig. Ob das Applaudieren in der Kirche im Sinne der Angehörigen war, kann ich nicht sagen. Ein respektvolles Innehalten war jedenfalls auch jetzt nicht möglich, da das alte Ehepaar hinter mir hörbar das Promi-Schaulaufen genoß. In Zimmerlautstärke rätselten die Beiden unentwegt, welcher Rennfahrer, Politiker oder Schauspieler denn gerade vorbeigegangen war. Ein paar strafende Blicke und auch Seufzer in ihre Richtung konnte ich mir nicht verkneifen. Unentwegt klickten Handykameras, trotz des Verbots. 

Eine letzte Hürde bot sich dann beim Verlassen des Doms durch das Adlertor. Vor diesem wieder eine mittlere Menschentraube: es mussten noch zahlreiche Handyfotos von und mit den übergroßen Lauda-Portraits gemacht werden, die dort aufgestellt worden waren. Hat sich denn die Existenz des Bildersuche-Features der großen Internet-Suchmaschine noch nicht herumgesprochen? 

Sollte zufällig jemand von der Familie Lauda das hier zu lesen bekommen, darf ich herzlich um Entschuldigung bitten für das ungebührliche Verhalten vieler meiner „Mit-Fans“. Ich bin dankbar, daß ihr uns die Teilnahme ermöglicht habt, und ich kann nur sagen, daß ich das sehr zu schätzen weiß und weiterhin für Euch und natürlich für den Seelenfrieden des Niki beten werde. Daß sich so viele, auch erwachsene, Menschen in einer Kirche nicht zu benehmen wissen, tut mir leid.

Requiem aeternam dona ei, Domine, et lux perpetua luceat ei. Requiescat in pace.

Von Elisabeth Kainzmeier

Zuerst erschienen auf querschüsse.at

(Bild: Rudolf von Alt: Stephansdom vom Stock-im-Eisen-Platz 1832)